Prodi: “Brauchen politische Autoritäten”

Thema: Der Euro in der Krise
Prodi: “Brauchen politische Autoritäten”

Kurier interview mit Romano Prodi: Der Ex-Kommissionspräsident fordert zur Rettung des Euro Budgetkontrollen sowie eine Wirtschafts- und Fiskalunion. Letztes Update am 04.12.2011, 18:06

Bundesstaat Europa ist Romano Prodis Ziel: “Entweder wir machen das oder die EU löst sich auf. Als Teil der globalisierten Entwicklung werden die Nationalstaaten verschwinden”.
Romano Prodi ist zuversichtlich: “Der Euro wird überleben, weil es keine andere Alternative gibt.” Der ehemalige italienische Premier und Präsident der Europäischen Kommission ist derzeit in Wien. Er nimmt Montagabend an einer Diskussionsveranstaltung mit Staatssekretär Andreas Schieder teil (siehe Tipp). Dem KURIER gab er vorab ein Interview.

KURIER: Herr Professor, Italien steht am Abgrund. Wie fühlen Sie sich als Italiener?

Romano Prodi: Es gibt viele Missverständnisse was die Wahrnehmung meines Landes angeht. Es gibt auch ein allgemeines Misstrauen gegenüber Italien. Das politische Benehmen der Berlusconi-Regierung war schrecklich. Ich setze jetzt voll auf Ministerpräsident Monti. Er versteht etwas von Wirtschaft und Finanzen.

Wird Monti sein Spar- und Reformpaket durchbringen?

Ganz bestimmt. Das Paket wird im Parlament angenommen werden. Monti kann das Land wieder fit machen. Die Entscheidungen sind schmerzlich, aber er muss sie treffen.

Wird mit Italien auch der Euro gerettet?

Die ökonomische Lage Italiens ist nicht so dramatisch. Das Defizit ist geringer als in Frankreich. Das Problem Italiens ist das Wachstum. Bei der Arbeitslosigkeit liegen wir bei 8,5 Prozent, das ist EU-Durchschnitt. Die Attacken der Spekulanten haben die Lage verschlimmert, die Zinsaufschläge sind gestiegen.

Überlebt die Euro-Zone?

Ja, alles andere wäre noch viel schlimmer, vor allem für Deutschland. Voraussetzung ist, dass die Fiskal- und Wirtschaftspolitik koordiniert wird und dass die politischen Autoritäten die Beschlüsse durchsetzen. Die Rede Merkels hat eine Tür in diese Richtung geöffnet.

Wie hat die deutsche Kanzlerin die Krise gemanagt?

Ich wurde enttäuscht. Sie hat Fehler gemacht. Ihre Entscheidungen kamen zu spät, und sie waren unzureichend.

Am Montag legen Merkel und Sarkozy ihre Pläne vor. Was erwarten Sie sich?

Sie werden keine umfassende Vertragsreform vorschlagen. Sie werden die nötigen Beschlüsse fassen, um die Märkte zu beruhigen. Der Schulterschluss von EZB, Fed und anderen Notenbanken vergangene Woche hat die Situation entschärft. Das nennt man eine klare Entscheidung. Die Börsen haben das mit einem Sprung nach oben quittiert. Durch die Euro-Krise leidet nämlich die ganze Welt. Der amerikanische Präsident kann elf Monate vor der Wahl ja nicht zuschauen. Er musste etwas tun.

Machte Obama Druck?

Die Fed hat die Aktion angeführt. Das sagt alles. Der Druck Amerikas ist wichtig.

Apropos Fed, sollte die EZB die europäische Federal Reserve werden?

Auf längere Sicht auf jeden Fall. Die gemeinsame Währung braucht eine richtige Zentralbank. Ich bin ja auch für Eurobonds.

Hat die EU überhaupt noch Zeit für umfassende Reformen?

Wir brauchen mehr Solidarität, sonst blamieren wir Europa. Wir brauchen strenge Budgetkontrollen, eine gemeinsame Wirtschafts- und Fiskalpolitik und politische Autoritäten, die das umsetzen. Wenn das klar ist, ist der Euro gerettet. Wenn das passiert, wird es keine Spekulationen mehr geben.

Sind Sie für das Modell eines Bundesstaates Europa?

Auf jeden Fall. Daran führt kein Weg vorbei. Entweder wir machen das oder die ganze EU löst sich auf. Als Teil der globalisierten Entwicklung werden die Nationalstaaten verschwinden. Das wird zwar noch dauern, aber es wird kommen.

Die EU-Kommission ist schwach wie nie zuvor …

Das stimmt. Das deutsch-französische Direktorium macht die Schwäche ganz offensichtlich.

Haben Sie als Kommissionspräsident von den gefälschten Statistiken Griechenlands gewusst?

Nein. Ich wollte eine Kontrolle der nationalen Finanzen. Die einzelnen Regierungen haben das nicht zugelassen und gesagt, das sei ihre nationale Aufgabe.

Wie viele Mitglieder werden der Euro-Zone im Jahr 2020 angehören?

Mindestens 20, maximal 22 Staaten werden zur Euro-Zone gehören. Sicher Polen. Und ganz sicher nicht Großbritannien und Schweden.

Prodi: Emotionaler Politiker & Professor

Geboren 9. August 1939 in Scandiano (Reggio Emilia).

Wissenschaftliche Karriere Jus-Studium (Katholische Universität, Mailand). Von 1971- 1999 Professor für Volkswirtschaft und Industriepolitik an der Uni von Bologna. Lehrtätigkeit in Stanford und Harvard.

Politische Laufbahn 1995 “Ulivo”-Gründung (Mitte-links-Bündnis). 1996-1998 Italiens Ministerpräsident. 1999- 2004 Kommissionspräsident. In seine Amtszeit fällt Anfang 2002 die Euro-Einführung und die EU-Erweiterung 2004 um zehn Länder. 2006-2008 erneut italienischer Premier.

Privat verheiratet mit Flavia Franzoni, zwei Söhne.

TIPP

Podiumsdiskussion Europa im Dialog: “New Challenges and Pathways for Europe” mit Ex-Kommissionspräsident Romano Prodi und Staatssekretär Andreas Schieder. Montag, 5. Dezember, 17.00 Uhr. Ort: Börse, 1010 Wien, Wipplingerstraße 34, Eintritt frei.

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Dati dell'intervento

Data
Categoria
dicembre 4, 2011
Interviste